Mittwoch, 30. April 2014

Die Legende von Ntungamo

Es ist etwas hochgegegriffen, sich selbst als eine Legende zu bezeichnen, aber Mark sagte mir, ich soll diesen Eintrag so benennen. Warum, erfahrt ihr im folgenden Text (kleine Anmerkung: der Mark, mit dem ich hier unterwegs war, ist nicht Mark Okello von dem Roadtrip nach Kenia, sondern Mark vom ITCT-Center):

Nach dem etwas erschreckenden Schauspiel mit dem Mob in Mbarara, holte ich mein Telefon ab, das tatsächlich nach ungefähr 30 Minuten repariert worden war. Mark und ich gingen also los, um uns ein Matatu nach Ntungamo zu suchen. Leider erklärte man uns, es sei gerade ein Taxi gefahren und wir müssten uns noch eine Stunde oder so gedulden. Ich bemerkte, das mir der Typ in dem Shop, in dem ich mein Telefon hatte reparieren lassen, die SD-Karte entwendet hatte.
Also gingen wir zurück, um nach dem Speichermedium zu verlangen. Dies klappte auch relativ schnell, der Typ schien etwas verunsichert, offenbar hatte er damit gerechnet, das ich nicht mehr zurückkommen würde :) Aber so erhielt ich die Karte zurück und wir machten uns erneut auf den Weg zu dem Taxi-Stand.
Unterwegs an einer Tankstelle sprach uns ein Mann an, ob wir nach Ntungamo gehen wollten. Wir bejahten und er sagte uns, wir könnten mit ihm fahren für 5'000 Schilling (ca. 1.80 Sfr.) und diesen Deal gingen wir ein. Wir sassen also zu ihm in den Wagen, wo schon fünf andere Personen drin waren. Der Mann fuhr los und unterwegs stoppte er immer wieder, um noch mehr Personen mitzunehmen. Schlussendlich sassen in einem Wagen, der eigentlich für sieben Personen ausgelegt war, ganze dreizehn Leute. Das ging so:
Auf der hintersten Sitzreihe (normalerweise zwei Plätze) sassen vier Leute, auf der mittleren Sitzreihe (höchstens drei Leute) sassen fünf und vorne je zwei auf dem Fahrer- und Beifahrersitz. Unser Fahrer nahm also ganze zwölf Gäste mit (die selbstverständlich alle bezahlen mussten). Es war mir ein Rätsel, wie er mit jemandem den Sitz teilen und trotzdem auf der schlechten, löcherdurchsähten Strasse fahren konnte. Zum Glück geschah uns nichts und wir erreichten Ntungamo ohne Schwierigkeiten. Nur Mark machte mir kurzzeitig etwas Angst: Hinter uns sass eine alte Frau, die ständig hustete. Mark sagte mir, diese Frau könnte eine Krankheit haben (weiss nicht mehr genau, welche er genannt hat) und uns eventuell anstecken. Sie versuchte auch ständig, in ihr Halstuch zu husten, wohl um die Bakterien nicht so zu verbreiten. Bis jetzt bin ich aber noch nicht krank geworden :)
In Ntungamo assen wir erstmal etwas. Ntungamo ist nicht sehr spannend, es ist ein kleines Städtchen und liegt in der Nähe der Ruandischen und Tansanianischen Grenze. Es ist nicht sehr viel los dort, Mark sagte mir, Ntungamo sei eine "Ghost Town", also eine Geisterstadt... Danach ging es weiter mit einem Boda Boda zu dem Ort, wo Marks Dorf liegt. Wir fuhren mit dem Boda einen Hügel hoch, dort gab es keine richtige Strasse mehr, es war nur ein Trampelpfad. Schliesslich erreichten wir ein paar Häuser, wohl im Stile eines ugandischen Bauernhofs. Dort lernte ich Joel, Marks Cousin, und seinen Onkel und seine Tante kennen. Ich glaube, der Name der Tante war Anita, ich bin mir aber nicht mehr ganz sicher... Den Namen des Onkels habe ich komplett vergessen :)
Man hiess mich herzlich willkommen und zeigte uns unsere Unterkunft. Dies war ein rundes Haus, ausgestattet mit einem grossen Bett und einer Matratze am Boden, es gab auch ein paar Stühle und ein Sofa. Mir fiel auf, dass es kein Mückennetz gab (das hat man sonst immer in allen Hotels und Hostels, um Malaria vorzubeugen), Mark erklärte mir jedoch, in der Nacht würde es kalt werden und die Moskitos mögen die Kälte nicht, weshalb es hier nicht viele geben würde. Da war ich dann beruhigt, auch wenn ich das mit den Moskitonetzen nicht immer ganz ernst genommen hatte (vor allem wenn ich mal betrunken zurück in ein Hotel kam, schlief ich meistens ohne Netz, weil es einfach zu viele Umstände machte, das Ding noch korrekt über dem Bett zu platzieren :)) Mark zeigte mir etwas die Umgebung, da es aber heftig anfing zu regnen, brachen wir den Trip relativ schnell wieder ab. Zu essen gab es Matooke mit Erdnusssosse, und das mehr als einmal, ich bin mir nicht sicher, ob die Leute einfach nichts anderes hatten oder dieses Essen nur sehr mochten :) Zu trinken gab es Milchtee, also blosse Milch mit ein paar Teeblättern darin und etwas Zucker. Dieser Tee schmeckte mir aber sehr gut, das Essen übrigens auch.
Die Kirche im nahe gelegenen Dorf hatte etwas Land zur Verfügung gestellt (also "etwas" ist ziemlich untertrieben, das Stück Land ist doch sehr gross) und man will dort eine Schule bauen. Der Priester des Dorfs führte Mark, Joel und mich dorthin, ich sollte mit meinem riesigen Know-How in Sachen Schweizerischer Baukunst ein paar Tipps zur Baustelle geben :) Natürlich bin ich nicht wirklich ein Baumeister, konnte ihnen aber dennoch ein paar Sachen erzählen, wie das in der Schweiz so gemacht wird. Während wir durch das Dorf gingen, welches inmitten eines Bananenplantagenwaldes liegt, kam ich mir sehr fremd vor. Viele Leute verharrten in ihren Bewegungen, starrten mich regelrecht an, die Kinder schienen teilweise gar etwas Angst vor mir zu haben. Ich sprach Joel darauf an und er meinte, die Leute hier seien ihr ganzes Leben schon hier gewesen und viele hätten das Dorf nicht verlassen. Deshalb sei es für sie etwas Aussergewöhnliches, einen Weissen Mann durch das Dorf gehen zu sehen. Einige von ihnen hätten wohl noch nie einen Weissen in Natura gesehen, sondern höchstens im Fernsehen...
An einem der Behausungen klebte eine Satellitenschüssel und ein altes, klappriges Fahrrad stand vor dem Eingang. "This is the richest guy in the village", erklärte mir Joel lachend. Er sei auch der einzige im Dorf, der einen Fernseher hätte. Fliessend Wasser gab es in dem Dorf natürlich nicht, also gehen die Leute zu einem nahegelegenen Bach und schöpfen dort Wasser mit Kanistern ab. Ich fragte bei Joel nach, ob die das auch trinken würden und er meinte ja, die benutzen das zum Waschen, Kochen und Trinken, also für alles, wo man Wasser so brauchen kann.
Die Elektrizität war teilweise vorhanden, weil die Leute Solarpanels benutzen. Ich glaube von allen Einwohnern des Dorfes hatten aber nur zwei Leute solche Panels (und ich spreche nicht von den Dingern, die man auf das Hausdach montiert, wie das in der modernen Welt der Fall ist, ich glaube das waren so portable Dinger, die nicht allzu viel Strom erzeugen können). Ich habe hier mal ein Foto des Bananenwaldes, durch den wir gelatscht sind, um das Dorf zu erreichen:


Der Weg durch das Dorf und zu der Stelle, an der die Schule gebaut werden soll, war sehr interessant. Die Menschen begegneten mir mit regelrechter Ehrfurcht. Später, als wir auf dem Rückweg waren, machten wir bei einem lokalen Pub halt (wenn man es denn wirklich ein "Pub" nennen kann) und bestellten etwas zu Trinken. Dort lernte ich jede Menge Leute kennen, die sich zu uns setzten und mit mir reden wollten. Unter ihnen war auch Dennis, der Dorfdoktor, ich wunderte mich aber, wie er seine Arbeit verrrichtete, wenn wirklich ein Notfall eintreffen sollte, der Mann war nämlich jedes Mal wenn ich ihn traf sturzbetrunken :)
Es dauerte nicht lange und wir waren umringt von einer Horde kleiner Kinder, die ungläubig glotzten und die Welt nicht mehr zu verstehen schienen. Ein paar von diesen Kindern schienen krank zu sein, sie husteten und ihre Nasen liefen ständig. Sie machten einen etwas elenden Eindruck in ihren dreckigen, alten und kaputten Kleidern... Wir hatten jedoch jede Menge Spass, die Leute aus dem Dorf erzählten mir Geschichten, einige konnten kein Englisch (vor allem die ältere Generation) und deshalb fungierten Mark und Joel teilweise als Übersetzer :)
Auch schienen alle Männer schon gut einen sitzen zu haben, Zigaretten rauchten die meisten am Laufmeter, oft fragten sie mich und ich war auch willig zu geben, weil man dort die Glimmstängel für den schon etwas lächerlichen Preis von ca. 75 Rappen pro Pack kaufen konnte. Die Leute boten mir ein Glas "Waragi" an, in diesem Teil Ugandas auch "Kasese" genannt. Waragi ist ein alkoholhaltiges Getränk und schmeckt ähnlich wie Gin. Das lokale Gebräu Kasese wird aus den grünen Kochbananen (Matooke) hergestellt. Man warnte mich auch, ich solle vorsichtig trinken, denn die Leute nahmen an, weisse Personen vertragen das Gesöff nicht wirklich gut. Ich probierte es und es stellte sich heraus, dass ich es doch relativ gut trinken konnte und es eigentlich gar nicht so schlecht war :)
Wir kauften uns dann ein paar Bananen und dies war unser Abendessen an diesem Tag. Wir assen sie in unserer Unterkunft, zurück bei Marks Tante und Onkel. Später, als die Nacht hereingebrochen war, gingen wir zurück in das Dorf, um noch ein paar mehr Drinks zu uns zu nehmen. Das Ganze artete in einem feuchtfröhlichen Abend aus und ich muss zugeben, der Waragi machte mich ganz schön dicht. Also an alles von diesem Abend kann ich mich nicht mehr erinnern :) Mark hat auch einige Fotos gemacht, von denen ich euch ein paar nicht vorenthalten möchte, andere lasse ich aber besser auf meiner Festplatte verrotten:






Der Abend war sehr lustig (das kann ich zumindest an den Fotos erkennen) und man versuchte, mir den afrikanischen Tanz beizubringen (vielleicht ist es auch nur ein ugandischer Tanz). Mir ging es soweit sehr gut und in einem der Behausungen hatte eine ältere Frau eine kleine Soundanlage eingerichtet, von der sie Musik spielte (mit Hilfe einer dieser Solarpanels, das wohl während des Tages etwas Strom "gesammelt" hatte).
Um 02:00 Uhr morgens war dann aber der Strom aufgebraucht und Mark, Joel und ich machten uns auf den Rückweg. Ich habe keine Ahnung mehr, wie wir durch den stockdunklen Bananenwald gekommen sind :) Wir legten uns schlafen und um fünf Uhr morgens erwachte ich, weil mir schlecht war. Ich ging nach draussen und erbrach dreimal, der Waragi hatte mir ganz schön auf den Magen geschlagen... Ich schlief dann weiter, diesmal ohne Zwischenfälle, aber um zehn Uhr erwachte ich mit solch höllischen Kopfschmerzen, wie ich sie noch selten in meinem Leben verspürt habe. Mark und Joel lachten, denn sie wussten ganz genau, wie mir nun zumute war :)
Ich ging mit Joel nach Ntungamo, um eine Rolex zu essen (ich wollte einfach etwas anderes als Bananen, weil ich das Gefühl hatte, mein Magen würde damit an diesem Morgen einfach nicht klarkommen). Später an diesem Tag, mir ging es schon viel besser, machten wir einen Marsch auf einen der nahegelegenen Hügel. Ich habe davon ein paar Bilder gemacht:




Der Marsch war nicht sehr anstrengend, denn schliesslich bin ich mir Hügel ja gewohnt :) Die Schweiz ist ja nicht gerade als flaches Land bekannt. Die Aussicht war aber schön und man konnte weit über das Land blicken. Mark sagte mir, unweit von diesem Ort würden die Grenzen zu Ruanda und Tansania liegen, man müsse nur noch ein paar Hügel überqueren und sei dann da.
Wir verliessen den Hügel, gingen nochmals durch das Dorf (von welchem man ein paar Häuser auf dem letzten der obigen Fotos erkennen kann) und machten uns auf, an einem Strassenstand in Richtung Ntungamo noch etwas zu kaufen. Eigentlich dachte ich, wir würden dort Erdnüsse kaufen gehen, es stellte sich aber heraus, das wir dort noch etwas mehr Waragi trinken wollten... :)
Ich verzichtete jedoch erstmal auf den Waragi, Mark und Joel hatten aber schnell je ein Glas vor sich. Wir sassen in einem kleinen Raum, einer Art rudimentärer Bar, welche direkt an der Strasse stand, die von Ntungamo nach Ruanda führt. Dort hatte ich wieder ein spezielles Erlebnis.
Zuerst sassen nur zwei alte Männer in dieser Bar, die sich ein Glas Waragi teilten. Sie begrüssten mich sehr herzlich in ihrer lokalen Sprache und verbeugten sich sogar vor mir. Die Inhaberin der Bar rief nach ihrer Tochter, als sie mich sah, sie solle schnell kommen und sehen, welch ungewöhnlicher Gast sich eingefunden hätte. Es dauerte nicht lange, dann war die kleine Bar rappelvoll. Viele Leute sprachen kein Englisch, also konnte ich mich nicht wirklich gut unterhalten, aber ich konnte förmlich spüren, welchen Respekt diese Menschen vor mir hatten. Die Atmosphäre war etwas ganz besonderes, energiegeladen und einfach sehr aussergewöhnlich.
Es war verboten, in der Bar zu rauchen, dank der Anwesenheit meiner Wenigkeit wurde es aber erlaubt. Mark und Joel waren wieder meine Übersetzer. Man fragte mich, ob ich denn keinen Waragi trinken würde, ich lehnte aber freundlich ab, denn ich hatte definitiv genug davon gehabt. Schlussendlich musste ich den Leuten aber demonstrieren, dass ich das Gesöff trinken kann und nahm einen grossen Schluck, was in tosendem Applaus und Gelächter endete. Einer der Anwesenden erklärte mir, ich sei der erste Weisse Mann, der je einen Fuss in diese Bar gesetzt hätte, denn die meisten Weissen, die hierher kommen, fahren nur mit dem Bus durch, um nach Ruanda zu gelangen. Ich fand das sehr interessant!
Nach diesem Erlebnis gingen wir nach Ntungamo, obwohl uns die Leute gar nicht mehr gehen lassen wollten :) Dort angekommen assen wir etwas und tranken noch ein paar Bierchen. Danach gingen wir zurück zu unserer Unterkunft und schliefen gut und fest (also zumindest ich :)). Wir hatten beschlossen, am nächsten Morgen nach Kampala zurück zu kehren, weil Mark kein Geld mehr und ich meine Malariatabletten in Kampala vergessen hatte.
Mark erzählte mir, ich sei jetzt eine Legende in Ntungamo (Ntungamo ist auch ein Bezirk in Uganda, ich weiss aber nicht, ob die das wirklich "Bezirke" nennen). Einige der Leute, denen ich die Hand geschüttelt hätte, würden diese nun wochenlang nicht mehr waschen und die Bank, auf der ich in der Bar gesessen bin, würde sich die Inhaberin wohl über ihr Bett an die Wand hängen :)

Wir machten uns also auf den Weg zurück, diesmal in einem Matatu und nicht mit einem vollgestopften Auto. Von Mbarara aus nahmen wir dann einen Bus, welcher auch ziemlich preiswert war, so wie alle Transportmittel (abgesehen vom Fliegen) in Uganda. Wir erreichten Kampala wohlbehalten um fünf Uhr an diesem Abend.

Weitere Geschichten gibt's demnächst. Beste Grüsse an alle!

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